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MikroNews: Lieferketten sind die unausgesprochene Wahrheit jeder Industriepolitik

Marco Herack
4 minuten gelesen

Die Erzählung über eine europäische Industriepolitik funktioniert immer gleich. China hat in diversen Branchen Größenvorteile. Gezielt wird mit staatlichen Geldern Zukunftstechnologie gefördert, um in diesen Branchen dann eine weltweite Marktführerschaft zu erringen. 2050 soll es soweit sein. In den USA hingegen gelte nun ‚Amercia First’ und es werde eine strategische Industriepolitik betrieben. Daran ändert auch ein Präsident Biden nichts.

Europa, so das Fazit, müsse nun seine eigenen Antworten formulieren. Am besten derart, dass es gezielt Zukunftstechnologien fördert und im Lande hält. Der Staat oder die Staatengemeinschaft soll hierfür das Geld zur Verfügung der Wirtschaft stellen.

So betrachtet klingt das logisch. Meist kommt dann noch das Beispiel des grünen Stahls. Das meint Stahl, der CO2-neutral hergestellt wird. Für dieses Beispiel gibt es einen simplen Grund. Stahl ist ein Wirtschafts- und Sicherheitsfaktor, der die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern vereint. Der Markt ist stark reguliert, sprich zu einem gewissen Ausmaß geschützt und damit das Musterbeispiel für eine Industriepolitik. Politisch unverfänglicher geht es nicht, da macht man es fast allen Seiten recht.

Doch so leicht das am Beispiel Stahl klingt, so schwierig ist es in der Realität. In dieser sprechen wir nicht davon, ein Produkt an einem Ort herzustellen, sondern verschiedenen Komponenten in verschiedenen Ländern zu fertigen und zusammenzufügen. Ein Fläschchen Biontech-Impfstoff benötigt beispielsweise 280 Komponenten, die von 25 Zulieferern in 19 Ländern produziert und somit orchestriert werden müssen.

Jede einzelne Station dieser Produktionskette orientiert sich an Herstellungskosten und potenzieller Verfügbarkeit. Also wie sicher und effizient kann man an diesem Standort produzieren. Wie lange brauchen Rohstoffe zur Anlieferung und befinden sich diese in einer gewissen Nähe. Wichtig ist die Infrastruktur. Sprich die Kosten im Sinne von Preis und Zeit, ausgedrückt über die Anbindung an ein Transportnetz.

Eine gewisse Komplexität lässt nicht abstreiten. Einer der relevanteren Faktoren ist die Fabrikgröße. Oder die Möglichkeit eines Fabriknetzes. Das lernt gerade die deutsche Automobilindustrie, während sie darauf wartet die für den Autobau notwendigen Chips geliefert zu bekommen. (Die Hintergründe hierzu siehe Mikro208)

Unternehmen wie Infineon haben sich aus Kostengründen dazu entschlossen sich zunehmend aus der Produktion der Autochips zu verabschieden. Stattdessen designen sie die Chips nur noch und geben die Produktion dann in Auftrag. Das spart den Unternehmen einerseits die Entwicklungskosten für die Produktion und ermöglicht es, billiger produzieren zu lassen, als es ihnen selbst möglich wäre.

Die Folge ist, dass man bei der Entwicklung der eigenen Produktionsmöglichkeiten zunehmend hinterherhinkt. 22nm ist das, was wir in Europa in Sachen Chips können. Das kommt auch daher, dass die meisten Chips, die in so einem Auto drin sind, mit 28-65nm nodes gefertigt werden können. Der größte Chipfertiger der Welt, TSMC, baut gerade Fabriken, die 3nm nodes fertigen können.

TSMC hat einen entscheidenden Marktvorteil, der dem Unternehmen in diesem Bereich zur Dominanz verhilft: Ein Fabriknetz in Taiwan, in dem die Arbeiterïnnen ohne große Zeitverluste zwischen den Fabriken hin- und hergeschoben werden können. Und ein entsprechendes Versorgungs- und Transportnetzwerk, das eine hohe Form der Effizienz ermöglicht. (Auf Kosten von Resilienz.)

Würde man die Produktion von Taiwan in die USA verlegen, müsste man mit 10% höheren Kosten rechnen. Was wenig klingt, kumuliert sich, aber ist tendenziell bezahlbar. Gerade die US-Armee würde den höheren Preis für die Versorgungssicherheit bezahlen. Das Problem sind an der Stelle weniger die direkten Einnahmen, sondern das Geld, das investiert werden muss, um die Weiterentwicklung auf Augenhöhe zu erzielen.

15 Mrd. Dollar für ein Werk der künftigen 3nm-Produktion und dann nach 2 Jahren weitere 18 Mrd. Dollar. Das sind Kosten, die nur ein Unternehmen einspielen kann, das über eine gewisse Größe im Markt und somit über entsprechende Einnahmen verfügt. Wie Intel zeigte, kann man trotz Technologieführerschaft recht schnell an solch einem Projekt scheitern.

Hier zeigt sich für Europa ein grundsätzliches Problem auf. Man kann jede Technologie fördern und entwickeln. Aber man kann auf absehbare Zeit fast kein Endprodukt, das aus diesen Technologien entsteht, effizient produzieren. Entwicklungen werden also immer bis zu einem gewissen Punkt ‚mit der Welt geteilt’ werden müssen.

Ein Umbau Europas, hin zu einem Produktionsstandort, würde bedeuten, dass die europäischen Staaten bereit sein müssten, die Infrastruktur aufzubauen, die Rohstoffversorgung zu sichern und die anfänglichen Verluste der Produktion zu tragen. Bis der Punkt erreicht ist, an dem die Skalierung greift und die Unternehmen selbstständig im Markt agieren können.

Kein sehr wahrscheinliches Szenario. Deswegen wird in Sachen Industriepolitik auf zwei Feldern gekämpft. Die einen sehen das Thema als wunderbaren Proxy, um Steuersenkungen und Ähnliches durchzudrücken. Und die anderen möchten Fördergelder für anstehende Entwicklungen im vorhandenen Ökosystem.

Beides ist im Einzelfall sicher nicht verkehrt, aber es wird die Probleme, die damit angeblich angegangen werden, nicht lösen. Denn diese sind struktureller Natur. Im großen Bild erklärt sich hier auch, warum Angela Merkel als Kanzlerin die Entscheidung traf, dass sich Deutschland und Europa stärker in Chinas Wirtschaft integrieren.

Zugleich liegt hier ein Schlüssel für die Politik begraben. Das Wiederbeleben der transatlantischen Partnerschaft könnte Möglichkeiten geben dem chinesischen Produktionsmodell etwas entgegenzusetzen. Taiwan spielt dabei eine Schlüsselrolle und das Projekt ist eine Idee für Jahrzehnte.

Fin


Mikroökonomen

Der Eingangstext ist auch ein wenig Fazit zu unseren Recherchen der letzten Folgen, die sehr stark von Lieferketten und dem Wandel in China geprägt waren. Wer hier also etwas verpasst hat, könnte überlegen, sich anhand der Kapitalmarken die ein oder andere Aufarbeitung doch noch anzuhören. Als da wären..

Mikro207: Lieferkettengesetz, Gamestop ETF und Chinas Fintechregulierung

Mikro208: Chipmangel bei Autobauern, hohe Frachtraten und Containermangel, Steuertransparenz und Strompreisanekdoten aus Texas

Mikro209: Co2-Preis, Reverse Factoring (Lieferkettenfinanzierung) in Kombination mit Dividendenfallen und Bidens Konjunkturpaket

Mikro210: Erdogan feuert Notenbankchef, Ministerpräsidentenfehlanreize in Deutschland und Wachstumsrisiken in China

ForeignTimes

ForeignTimes040: Was China den Uiguren antut

ForeignTimes041: Das Kosovo hat gewählt und Serbien entdeckt seine Liebe zu China (mit Franziska Tschinderle)

Systemrelevant

Lesehinweise

  • Eigentlich weiß man instinktiv, dass man nicht in einem Amazon Lagerhaus arbeiten möchten. Hier gibt es neuen Begrüdungsstoff. Die absolute Gamfication-Hölle.
  • Motherjones ist der Frage nachgegangen, ob das mit dem Biosprit so eine gute Idee war.
  • Katja Bauer und Maria Fiedler haben die Methode AfD analysiert und darüber ein Buch geschrieben. In Vorbereitung auf einen Podcast (ForeignTimes) mit den beiden, lese ich das Buch über Ostern. Wer sich etwas vorbereiten möchte, hier entlang. (Bei Fragen, diese gerne an mich senden.)
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