MikroNews: Uns geht es besser als den Menschenrechten
Eigentlich soll der Newsletter alle 2-3 Wochen erscheinen. Die Zeit vor und nach meinem Urlaub war dieses Jahr aber so arbeitsintensiv, dass ich beschlossen habe, die Kapazitäten auf den Podcasts zu belassen. Das ist und bleibt unser Hauptkanal.
Dennoch soll der Newsletter möglichst regelmäßig erscheinen und ich gebe mir auch alle Mühe. Da ich jetzt schon weiß, wie mein Herbst und Winter aussehen wird, bitte ich euch um etwas Nachsicht und Geduld. Im Gegenzug steht hier auch nie ein 'kurz hingefriemelter' Pflichtkommentar.
Vielen Dank für‘s Lesen!
Damit die Nachbereitung der Podcasts nicht ausartet, werde ich euch dieses Mal "nur" die jeweils letzten 3 Folgen verlinken.
Bei den Mikroökonomen können wir zudem die frohe Kunde übermitteln, dass die Episodenübersicht nun komplett ist. Aufgeteilt in Premium und Nicht-Premium könnt ihr die Folgen nun schnell finden. Das mussten wir teilweise manuell nachpflegen, daher hat es auch solange gedauert. Als nächstes folgt eine Übersicht der Drinks und Picks.
Ein paar Gedanken zu Menschenrechten
Es war ein ungeahnter Glücksfall. Im letzten Sommer vor Covid war ich in New York. Eigentlich wollte ich nur mit Freunden nach Toronto fliegen und dort ein Festival besuchen, das alle zwei Jahre stattfindet. Aber dann sah ich, dass die Flugzeit nach New York nur 1,5 Stunden beträgt, und so wurde die Stadt dann doch noch in die Reiseplanung eingebaut.
Am Ende sah ich nichts, was ich nicht erwartet hätte, aber freute mich, Familie und Freunde zu treffen. New York war für mich langweilig und erwartbar. Nur eine Sache erwischte mich an einem mir damals unbekannten Punkt: Das ‚National September 11 Memorial‘.
Eigentlich wollte ich da gar nicht hin und bin eher darüber gestolpert. Seitdem werde ich ein paar Gedanken nicht mehr los und vielleicht ist heute eine gute Gelegenheit darüber zu schreiben.
In der westlichen Welt haben wir uns sehr intensiv mit unseren Gefühlen und Erlebnissen auseinandergesetzt, die das Erleben von 9/11 bei uns ausgelöst hat. Jahr um Jahr beschwören wir sie und damit auch unser Leid. Wir erinnern und Gedenken. Ich möchte das nicht wirklich kritisieren, weil das alles real ist. 9/11 war ein Schock, der viele Glaubensmuster zerstört hat. Das muss verarbeitet werden. Nur wird es nach 20 Jahren auch Zeit, nicht mehr nur zu fragen: „Wo warst Du?“
Der Zeitgeist sah 9/11 sofort als Zeitenwende an. Nichts werde mehr so sein, wie es war. Darin waren man sich einig. Schauen wir aber auf unseren Alltag, wird man davon nicht viel sehen. Es gibt mehr Sicherheitskontrollen am Flughafen und unsere westlichen Gesellschaften diskutieren häufiger über Terrorgefahren. Schon den Krieg in Afghanistan, an dem ‚unsere‘ Soldaten beteiligt waren, spielte kaum eine Rolle. Flapsig gesagt, haben Smartphones unseren Alltag mehr verändert als 9/11.
Es waren andere Orte, die den veränderten Westen zu spüren bekamen. Vom Einmarsch in Afghanistan über die Folterkammer Abu-Ghuraib oder die Schaffung der ‚unlawful combatants‘ (1942), also der ‚ungesetzlichen Kombattanten‘, mit denen man seit 2001 verschiedenen Menschen in Guantanamo Bay die Rechte als Kriegsgefangene verweigert. Folter im Sinne der guten Sache und Drohnenkriege unter Inkaufnahme von Kollateralschäden sind zum Alltag westlicher Machtmittel geworden.
Natürlich: Geopolitik war noch nie nett. Menschenrechte waren schon immer auch eine Verhandlungsmasse im Konzert der Mächte. Geheimdienste taten schon immer Dinge, die außerhalb der heimischen Gesetze standen. Und was man sonst noch so zu solchen Themen sagt. Alles nicht falsch.
Das eine war also schon immer so und unser Alltag hat sich kaum verändert. Dann ist doch alles in Ordnung und niemand muss sich sorgen?
Aus meiner Perspektive ist diese Sicht stark verkürzt.
Denn es gibt ja durchaus Erstaunliches zu beobachten, in dieser Welt, die angeblich so ist, wie sie immer war. Autokraten legen heutzutage beispielsweise sehr viel Wert darauf sich international zu legitimieren. Das ist eine Erklärung dafür, warum sie hochkapitalisierte Desinformations- und Rechtfertigungskampagnen fahren. Warum ausführlich begründet wird, dass ein Völkerrechtsbrechen nicht nur das Völkerrecht nicht verletzt, sondern an dieser oder jener Stelle das Völkerrecht zum eigenen Vorteil, entlang des eigenen Tuns, ausgelegt werden müsse.
Damit erkennt man indirekt den gesetzten Rahmen an, gegen den man verstößt, und versucht zugleich, ihn zu verändern.
Das zeigt uns, wie wichtig es ist, diesen ethischen und moralischen Rahmen im Sinne eines Rechts zu setzen. Als Grundlage des internationalen Handelns zu definieren und dieses Handeln dann auch auf Basis der Grundlage einzufordern. Und zwar nicht in dem Sinne, dass X ja ebenfalls dagegen verstoßen habe, Y es also auch dürfe. Sondern für alle gültig.
Für mich ist das gesetzt. An der Stelle interessiert mich mehr, was bei uns daheim passiert ist. Also ob dieser Alltag sich wirklich so wenig geändert hat, wie es wahrgenommen wird.
Auffällig anders
Nachdem „Der Westen“ in Afghanistan einmarschierte, um auch die Menschenrechte zu verbreiten, sind ebendiese imm weniger ein Thema, das Medien interessiert. Das in deren Betrachtung der Welt stattfindet.
Autokraten werden wahrgenommen und und es wird über sie berichtet. Also was sie alles Schlimmes machen und wie sie ihre Gesellschaften verändern. Aber das Thema selbst bleibt ein abstraktes Demokratie-Thema. Da ist die Demokratie auf dem Rückzug. Da kann man etwas nicht stoppen. Doch dass bei diesen Autokratisierungsprozessen auch Menschenrechte verletzt werden, ist eher selten eine Erwähnung wert. Gleiches gilt aktuell, wenn die Taliban Afghanistan übernehmen.
Da berichtet man, dass die Taliban das Volk unterdrücken, den Frauen die Rechte nehmen, Mädchen um Bildung bringen. Sie töten die Helferïnnen westlicher Journalisten und Politiker. Angestellte ihrer Feinde oder Zuarbeiterïnnen. Dabei verstoßen die Taliban nur scheinbar nicht gegen die Menschenrechte.
Organisationen wie Amnesty thematisieren die Menschenrechte in diesem Kontext. Und Amnesty wird dann zitiert, wie hier am Beispiel eines Artikels der Süddeutschen. Damit werden die universellen Menschenrechte zu einer Meinung einer NGO degradiert. Das ist nicht despektierlich gegenüber Amnesty gemeint, die eine sehr wichtige Arbeit leisten. Nur werden die Menschenrechte in dem Kontext dann eben nicht mehr als universal angesehen.
Ob die veränderte Darlegung daran liegt, dass wir die Demokratie und die Menschenrechte am Hindukusch verteidigt haben? Das würde bedeuten, dass das Erwähnen der Menschenrechte nun mit Militäreinsätzen verbunden ist.
Das kann als ein Aspekt gelten. Aber es hat sich auch „in“ unser Weltsicht etwas verschoben.
In den 1990igern gab es viel Streit um und gegen Flüchtlinge. Es wurde vom Asylmissbrauch gesprochen und gerade konservative Politiker ritten diese Welle. In der Folge stiegen die Anschläge rechter Gesellen auf Flüchtlinge und Flüchtlingsheime. Doch Deutschland half, als die jugoslawischen Nachfolgekriege ausbrachen. Eine gute Zusammenfassung findet sich beim Bayerischen Rundfunk.
Deutschland half auch, als syrische Flüchtlinge kamen. Das war 2015. Man half aber nur jenen, die das Mittelmeer überlebten.
Und seitdem? Für die Menschen in Europa ist es kein größeres Problem, wenn Menschen im Mittelmeer auf der Flucht nach Europa ertrinken. Zu dem Thema gibt es ein erhellendes Interview mit Dana Schmalz in der Zeit, aus dem ich hier zitiere:
Dana Schmalz: Es scheint sich die Wahrnehmung durchzusetzen, dass die Anforderungen, die das internationale und europäische Recht an den Umgang mit Flüchtlingen stellt, eigentlich zu hoch seien. Dass sie eine Unterkunft brauchen, dass sie nicht aufs Meer zurückgedrängt werden dürfen – solche Sachen sind juristisch eigentlich klar. Und doch wird die politische Position derer immer stärker, die sagen, das sei zu viel verlangt und eigentlich nicht durchzuhalten. Gefühltes Recht wird an die Stelle von tatsächlichem Recht gesetzt. Das ist eine Entwicklung, die mich besorgt. (Hervorhebungen von mir.)
Menschen- und Lebensrechte werden demnach zu einer Frage der eigenen Belastungsfähigkeit. Wie man sich gerade fühlt, so wird geholfen oder eben auch nicht. Momentan eher nicht.
Ein wichtiger Punkt den Schmalz in diesem Interview macht, ist, dass, um das Recht in diesem Fall einzuhalten, man dieses Recht über die eigene Grenze hinaus gelten lassen müsse. Der Flüchtling hat ein Anspruch auf das Recht eben nicht erst dann, wenn er sich nach Europa gestorben hat.
Eine sehr ähnliche Entwicklung kann man momentan in unserem Verhältnis mit China wahrnehmen. Je enger die wirtschaftliche Verflechtung Europas mit China wird, desto weniger offen werden die immensen Menschenrechtsverletzungen (in China gegenüber der eigenen Bevölkerung) gegenüber der chinesischen Regierung thematisiert. Deutsche Unternehmen arbeiten auch in Regionen, in denen nahezu notorisch gegen Menschenrechte verstoßen wird.
Gleichzeitig aber sieht man im Land momentan eine große Reformdynamik, die sich auch aus westlicher Sicht schwer kritisieren lässt. Wir haben daher im Podcast versucht, die Problematiken zu adressieren, die sich oftmals hinter den sinnvoll wirkenden Reformen verbergen. In Abgleich mit der Frage, wie wir es verhindern können, dass auch wir in Deutschland zu Tätern im chinesischen Sinne werden. Das Fazit könnt ihr hier nachhören.
Auch hier spielt Belastungsfähigkeit eine Rolle. Man glaubt, ohne die Einnahmen aus China wirtschaftlich nicht bestehen zu können. Gut gehe es uns nur, wenn man sich zwischen den Großmächten platziere. Also Deutschland oder gar Europa als eine Art Schweiz des Welthandels. Wer sich nicht einmischt, so das Denken, ist nicht beteiligt.
Eine irrsinnige Annahme für eine global vernetzte Republik.
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Lesehinweise
- Wer mit dem aktuellen Wahlkampf hadert, könnte sich die Elefantenrunde aus 2005 anschauen. Das ZDF hat sie republiziert und aus heutiger Sicht ist das alles sehr erheiternd.
- Der chinesische Einfluss auf „die Medien“ wird oftmals noch unterschätzt. The Atlantic hat hierzu ein Beispiel aus Hong Kong.
- Dieser Artikel vom New Yorker gibt einen ebenso traurigen wie guten Einblick in das, was da gerade in Afghanistan stirbt und wächst.
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